BIA - Betrug im grossen Stil

Der grösste Finanz-Skandal der indianisch-amerikanischen Geschichte

Renate Domnick
zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift “bedrohte Völker” 6/2003

Nach dem Rücktritt von Neal МсСаleb, Staatssekretär im Innenministerium und Chef des BIA (Bureau of Indian Affairs), ist Aurene М. Martin neue Chefin der Indianerbehörde. Man darf gespannt sein, wie lange es sie auf diesem heissen Stuhl hält, denn im Skandal um den Treuhandfond indianischer Konten ist noch kein Ende abzusehen.

Seit 1824 hat das BIA als koloniale Kontrollinstanz indianisches Leben in allen Bereichen beherrscht. Die USA als Treuhänder kassierten die Einnahmen aus Pacht und Ressourcenausbeutung auf indianischem Land, um es auf individuellen und Stammeskonten anzulegen, die vom BIA verwaltet wurden. Im Laufe von Generationen häuften sich Einnahmen in Milliardenhöhe an, über die praktisch keine Rechenschaft abgelegt wurde. Während die eigentlichen Веsitzer des Landes und der Воdenschätze hungerten und der Verelendung preisgegebnen waren, bedienten sich korrupte Beamte ebenso wie Regierungsstellen ihres Geldes.

Seit Jahren steht nun das BIA im Mittelpunkt eines Skandals um den Treuhandfonds, der zahllose Ausschüsse, den Kongress, Gerichte und ein Heer von Anwälten auf beiden Seiten beschäftigt, ohne dass eine Lösung in Sicht ist. Trotz präziser gerichtlicher Anordnungen zur Reform des Treuhandfonds und zweier Gesetze zur Umstrukturierung des BIA sowie der Reform des Fonds steht bis heute nicht fest, wie viel Geld die Regierung wem schuldet. Wohlgemerkt, es handelt sich um indianisches Geld, auch wenn die Regierung keine Gelegenheit auslässt, so zu tun, als ginge es um ihr Geld bzw. das der Steuerzahler. Das für indianische Angelegenheiten zuständige Innenministerium zeichnet sich vor allem durch Ignoranz aus und den Unwillen zu kooperieren. Веzeichnend ist die Wah1 von Ross Swimmer an der Spitze der neuen Abteilung für den Treuhandfonds, der dem BIA inzwischen entzogen wurde.

Swimmer, der als Häuptling der Cherokee Nation in wenigen Jahren zum Multi-Millionär wurde, war BIA-Chef unter Reagan von 1985-89. Wegen dubioser Geschäfte wurde gegen ihn mehrfach ermittelt und Anklage erhoben – aber das tat seiner Karriere keinen Abbruch, im Gegenteil.

Ausgerechnet er wurde Leiter der Abteilung, die für die Neuordnung des chaotischen Trenhandfonds zuständig ist und nun hat Gale Norton ihn zum Special Trustee ernannt – trotz zahlreicher Proteste von indianischer Seite, wie z.B. einer Resolution des National Congress of American Indians (NCAI).

Korruption war von Anfang an integraler Bestandteil des BIA. 1849 kam es vom Kriegsministerium zum Innenministerium, das auch für Land und Ressourcen zuständig ist. Kein Wunder also, dass die Indianer immer mehr davon verloren. Die Kontrolle und Verwaltung der Indianer und ihres Besitzes wurden zu Instrumenten ihrer Enteignung. Das BIA verwaltete nicht nur ihre Ressourcen, sondern auch ihr Geld, wie z.B. Pacht- und Nutzungsgebühren aus ihrem Landbesitz. Einblick in ihre Konten hatten die Indianer nicht, somit hatten sie auch keine Kontrolle über ihr Geld. Ausgezahlt wurde, wenn überhaupt, nach völlig willkürlichen Spielregeln.

Der Treuhandfonds war 1887 eingerichtet worden. Mit der wachsenden Ausbeutung indianischen Landes durch Goldаbbau, Öl-, Gas- und Kohleförderung kassierte die USRegierung immer höhere Аbgaben, die an die Indianer hätten verteilt werden müssen (was ohnehin nur eine Minderheit betraf, denn die wenigsten hatten gesetzlich geregelte Ansprüche auf die Ressourcen ihres Landes). Es dauerte nicht lange, bis die ersten Zeitungsberichte meldeten, dass dies nicht geschah. Doch erst nach mehr als 40 Jahren wurde das Problem von offizieller Seite zur Kenntnis genommen: 1929 stellte der Rechnungshof fest, dass Gelder aus dem Fonds zweckentfremdet verwendet wurden und die Konten in einem Zustand waren, der eine genaue Prüfung unmöglich machte.

In den 1980er Jahren wurden 600 Indianer in 30 Bundesstaaten von einer Untersuchungskommission unter Leitung von Senator DeConcini ( Arizona ) befragt. Die Ergebnisse wurden in einer Artikel-Serie der Arizona Republik veröffentlicht. Die interessierte Öffentlichkeit erfuhr, dass das BIA fast 90% seines Вudgets für die eigene Verwaltung ausgibt und einen grossen Teil der Ausgaben nicht belegen kann. Bereits damals schuldeten Konzerne 5,7 Milliarden an nie gezahlten Abgaben für die Ausbeutung indianischer Rohstoffe. Als entscheidende Ursache für die offen gelegte Verantwortungslosigkeit identifizierte der Bericht das paternalistische System, das dem BIA zugrunde liegt. Doch trotz öffentlicher Rhetorik von “Autonomie” (self-government) und “Beziehungen auf Regierungsebene” (government-to-government relationship) halten die USA an ihrer Rolle als Treuhänder bzw. “Vormund” – und an der Selbstbedienung aus dem Besitz indianischer Nationen fest.

Da Wohnungs-, Gesundheits- und Bildungsprogramme für Indianer nicht etwa von den Gewinnen aus ihren eigenen Ressourcen, sondern durch Steuergelder finanziert werden, gab es immer wieder öffentliche Proteste, sowohl aus reaktionären Kreisen, die die Verschwendung von Steuergeldern an die “faulen Wohlfahrtsempfänger” anprangerten, als auch Beschwerden über die ausufernde Korruption beim BIA. Jahrzehnte folgenloser Untersuchungen kulminierten 1992 in einem Kongressbericht über die Auswirkungen von Inkompetenz und Tatenlosigkeit auf allen Regierungsebenen. Darin heisst es: Uns liegen über 150 Berichte über die Mängel im Finanz-Management des BIA vor, 30 davon befassen sich mit dem Treuhandfonds und der Unfähigkeit des BIA, Rechenschaft über die rund 1,7 Milliarden Dollar, für individuelle Konten von Indianern oder einzelnen Stämmen zu geben. Das Gleiche gilt für das Budget von 1,4 Milliarden Dollar für indianische Programme. Bei diesen Budgets weist ein Bericht von 1991 ein Rechenschafts-Defizit von 95 Millionen Dollar aus. Es folgen zahllose Beispiele von Mittel-Missbrauch, Vetternwirtschaft und Betrug an Веdürftigen, vom Unwillen des BIA, den Indianern effektive Hilfe zu leisten und die Qualität seiner Dienstleistungen zu verbessern.

300.000 Indianer verklagen die Regierung

Da das erste Gesetz zur Reform des Treuhandfonds von 1994 folgenlos blieb, begann Louise Cobell von der Blackfeet Nation Spenden zu sammeln und für eine Sammelklage gegen die US-Regierung zu mobilisieren. 1996 wurde der Fall “Cobell vs. Norton” vom Native American Legal Rights Fund (NARF) eingereicht. Sein Direktor John Echohawk sprach vor dem Kongress vom grössten und längsten Finanz-Skandal der Regierung. Zu der Zeit fehlten schätzungsweise 2,4 Milliarden Dollar von Stammeskonten der letzten 20 Jahre, dazu über eine Milliarde von individuellen Konten, plus laufender Zinsen sowie Zinsen von “Krediten”, die sich die Regierung aus dem Treuhandfonds genehmigt hatte. Die Summe wächst mit dem Fortgang der Recherchen – und die Kosten für die Regierung werden umso höher, je länger sich die Prozesse hinziehen.

Die Sammelklage landete bei Richter Royce Lamberth, der sich unverhohlenem Widerstand auf höchster Regierungsebene gegenübersieht. Nachdem er dem Innenministerium präzise Anordnungen erteilte, um das System der Kontenführung und Abrechnung zu erneuern, wurden zunächst einmal Akten und Веweismittel vernichtet – darunter ein beträchtlicher Tei1 der ohnehin nur marginal existierenden Konten selbst. Richter Lamberth wurde öffenflich bеschimpft, weil er die zuständigen Minister (darunter die Innen- und Finanzminister unter Clinton sowie die heutige Innenministerin Norton) der Missachtung des Gгichts bеschuldigte. Er hatte eine regelmässige Berichterstattung über die Fortschritte in der Aufklärung verlangt.

Das BIA jedoch beschwerte sich, dass es in der zentralen Computerverwaltung nicht genug Personal für diese Aufgabe habe. Seitens einer Behörde, die seit jeher als kolossal “überbelegt” gilt, ist dies nur ein weiterer Beleg für ihren Unwillen zur Veränderung. Denn gleichzeitig weigert sich die Behörde, einen Teil ihrer Kompetenzen an die Stammesregierungen abzugeben, um deren Forderung nach mehr Selbstbestimmung entgegenzukommen - und sich selbst damit zu entlasten. Schliesslich wurde der Treuhandfonds dem BIA im Rahmen der Reform entzogen und eine neue Behörde gegründet – allerdings mit ebenso krebsartig wuchernden Abteilungen und Pöstchen wie sie für das BIA symptomatisch waren. Auf einer Konferenz des National Congress of American Indians hiess es dazu: “Wenn man eine Schale verrotteter Äpfel hat und nur die Schale erneuert, sie aber mit den gleichen verrotten Äpfeln füllt – soll das eine Reform sein?"

Die Regierung demonstrierte ihren Reformwillen, indem sie 614 Millionen Dollar für ein neues Computersystem ausgab – angeblich, um damit die Konten zu rekonstruieren – nur, es funktioniert nicht. Und damit die Beamten nicht allzu viel Zeit mit der Rekonstruktion der Konten verbringen, wurde ein Umzug der ganzen Abteilung angeordnet. Weitere Millionen wurden für Studien und taktische Manöver investiert, die nicht das Problem des Treuhandfonds lösen, sondern die Verpflichtungen der Regierung mindern sollen. Jahrelang lehnte das Innenministerium eine Zusammenarbeit mit den bеtroffenen Stämmen ab. Stattdessen ging es 1999 in Berufung gegen die Anordnungen des Richters. Aber das Berufungsgericht gab Richter Lambert Recht und beschuldigte das Ministerium gesetzwidrigen Vеrhaltens. Es geht nicht nur um Strategien der Verzögerung und Umgehung gerichtlicher Anordnungen, es geht schlicht um Zahlungsverweigerung – u.а. hatte das Innenministerium versucht, mit einer eigenen “Schätzung” davonzukommen, die Richter Lamberth als skrupellos und als Betrug gegenüber dem Gericht bezeichnete. Denn: 60-75% der indianischen Pachtanteile sind in der Buchfürung der Regierung nicht zu identifizieren.

Um die grössten Fälle dem juristischen Verfahren zu entziehen, schaltete das Innenministerium seinen internen Berufungsausschuss, das Interior Board of Appeals, zur Überprüfung ein – offenbar baut es auf die fehlenden, von ihm selbst zerstörten Unterlagen als “Entlastung mangels Beweisen”. Doch die Anwälte der Geschädigten und Betrogenen haben eine einleuchtende Rechnung aufgemacht: In einer detaillierten Aufstellung haben sie die Ausbeutung der Ressourcen, wie Öl und Bodenschätze auf indianischem Land seit 1887 zusammengestellt (entsprechende Statistiken existieren in anderen Ministerien und Institutionen) und die daraus fälligen Abgaben errechnet. Daraus resultiert die Summe von 137,2 Milliarden Dollar an nicht ausgezahlten Geldern – das übertrifft den Haushalt des Innenministeriums um das Zehnfache. Von rund 20 indianischen ationen, bei denen es um erhebliche Summen geht – darunter die Navaho Nation und die White Mountain Apache – liegen inzwischen Einzelklagen wegen Manipulation ihrer Budgets vor. Um sich – koste es was es wollе – um eine Zahlung an die Indianer zu drükken, beschäftigt die Regierung in diesem Fall mehr Anwälte als im Anti-Trust-Fall gegen Bill Gates/Microsoft. Im Oktober 2002 sandten Anwälte des Innen- und des Justizministeriums hinter dem Rücken Lamberths Briefe an über tausend indianische Kläger, um deren Ansprüche auf Entschädigung zu annullieren, mit der Begründung, die beigefügten Kontoauszüge seien historisch korrekt, vollständig und somit endgültig. Doch Richter Lamberth erklärte die Aktion als illegal. Darauf eine empörte Stimme aus dem Ministerium: “Wir verschleudern für diesen Fall keine Steuergelder, wenn keine Beweise vorliegen” – womit offenbar die fehlenden bzw. vom BIA selbst zerstörten Konto-Belege gemeint sind. Die Reaktion entspricht einer Haltung, die auch das Problem indianischer Landrechte kennzeichnet, nämlich, dass Indianer kein Recht auf Eigentum haben: Land kann ihnen bis heute mit jeder beliebigen Begründung weg genommen werden. Doch Тех Hall kontert: “Hier geht es nicht um Steuergelder – es ist indianisches Geld, das die Regierung genommen und zurückzuzahlen hat”.

Einige indianische Führer hoffen, für eine endgültige Lösung den Kongress einschalten zu können, denn “es gibt Abgeordnete, die mehr Verständnis haben, als das für uns zuständige Ministerium”. Ben Nighthorse Campbell, Vorsitzer des Senatskommittes für Indianische Angelegenheiten dagegen befürchtet: je länger sich das Hickhack um eine Lösung hinzieht, umso grösser ist die Gefahr, dass die Bush-Regierung die ganze Angelegenheit per Gesetz vom Tisch fegt.